Lebensumstellung

Statistiken belegen seit Jahren, dass die Bevölkerung immer dicker wird.

17/07/2023

Im Mondorfer Thermalbad können Menschen mit starkem Übergewicht lernen, gesünder zu leben.
Dabei steht nicht allein das Essen im Vordergrund, sondern der ganze Mensch.

Die Tür zu ihrem Btro steht weit ofen. Hier ist jeder willkommen, das spürt man. Doch so oft sei sie gar nicht hier, sagt Nathalie Weber. Die meiste Zeit verbringe sie mit Patienten, bei Beratungsgesprächen, beim Kochen oder in der Gruppenarbeit. Nathalie Weber ist Ernährungsberaterin und leitet den „Service Nutrition" der Domaine Thermal in Mondorf.

Es gibt genug zu tun: Einerseits bleibt die Zahl an Long-Covid-Betroffenen mit Verdauungsbeschwerden stabil, die sich in Mondorf beraten lassen können, andererseits wurde das Angebot für Menschen mit Adipositas erweitert. Seit einigen Jahren gibt es nicht nur ein stationäres Programm über drei Wochen, sondern auch eine ambulante Kur. Die Patienten übernachten nicht im Kurhotel und kommen nur einmal die Woche, dafür aber über einen Zeitraum von drei Monaten.

Teamarbeit

Adipöse Menschen auf ihrem Weg in eine gesündere und schlankere Lebensweise zu begleiten, sei nur im Team möglich, sagt Nathalie Weber. Allein die Gründe für das Übergewicht seien so unterschiedlich, dass auch die Lösungswege sehr verschieden sind. Deshalb arbeiten die Ernährungsspezialisten eng mit Psychologen und Sporttherapeuten zusammen. Für jeden einzelnen Patienten wird ein individueller Plan erstellt, der Essgewohnheiten, körperliche Fitness, Motivation, soziale Situation und psychische Verfassung berücksichtigt. Denn wer wirklich abnehmen will, braucht Zeit, Energie und die nötigen Strategien dafür. Zehn bis 20 Prozent des Ausgangsgewichts - abhängig vom BMI - seien das erste Ziel, dann habe man bereits viel für seine Gesundheit getan, sagt Nathalie Weber. 

Statistiken belegen seit Jahren, dass die Bevölkerung immer dicker wird. Gut die Hälfte der Erwachsenen hat Übergewicht, ein Drittel davon ist adipös, fettleibig. Die Anzahl der Patienten sei in den vergangenen zehn Jahren zwar nicht wesentlich gestiegen, sagt Nathalie Weber, dafür aber das Ausgangsgewicht. „Bin Ausgangsgewicht von 150 Kilogramm bei einem Mann war früher die Ausnahme, jetzt ist es die Regel. Es kommen regelmäßig Patienten mit 180, 190 Kilogramm. Zudem werden sie immer jünger, einige sind erst Mitte Zwanzig."

Bei vielen Patienten hat sich das Übergewicht über die Jahre ergeben. Als junge Erwachsene waren sie meist schlank, doch mit Beruf und Familie veränderten sich auch die Lebensgewohnheiten. Im fortgeschrittenen Alter verlangsamt sich der Stoffwechsel. Für solche Patienten ist die Umstellung auf eine gesunde Ernährung und einen aktiven Lebensstil meist unproblematisch. Bei anderen sei das wesentlich schwieriger, sagt Nathalie Weber.  „Einige waren von klein auf übergewichtig. Oft ist in der ganzen Familie Übergewicht ein Thema, weil die Ernährungsgewohnheiten einfach schlecht sind. Da dauert dann auch die Umstellung auf andere Koch- und Essgewohnheiten länger, weil sie es nie gelernt haben."

Übergewicht und Adipositas

Ausschlaggebend ist der Body-Mass-Index (BMI). Ab 25 gilt man als über-gewichtig, wer mehr als 30 hat, ist adipös. Der BMI berechnet sich nach Körpergröße-Be und Gewicht. Um an der Mondorfer Kur teilzunehmen, muss man einen BMI von mehr als 35 haben. Oder einen BMI von 30 plus entweder Diabetes, Bluthoch-druck, eine diagnostizierte Schlafapnoe, eine Herzkrankheit oder einen vergröberten Bauchumfang, bei Frauen über 88, bei Männern über 102 Zentimeter.

Satt, aber nicht dick

Übergewicht kann in seltenen Fällen genetische Gründe haben. Für diese Menschen sei es sehr schwierig, abzunehmen. Auch das habe mit einem langsamen Stoffwechsel zu tun, sagt Weber. Es gäbe allerdings auch andere Möglichkeiten, den Stoffwechsel zu verlangsamen: Diäten. Sie sind eine der Hauptursachen dafür, dass Menschen dick werden. „Die erste Diät ist die, die man nie machen sollte. Denn sie ist der Anfang von dem Teufelskreis, in den man hineingerät."

Der Grund ist der berühmte Jojo-Effekt. Bei gesunden Menschen funktioniert der Stoffwechsel sehr gut. Nehmen diese Menschen ab und schnell wieder zu, haben sie nachher meist mehr Fett auf den Rippen als vorher. Denn mit jeder Diät wird nicht nur Fett abgebaut, sonder auch Muskelmasse. Nimmt man wieder zu, kommt hauptsächlich Fett hinzu, aber kaum Muskeln. Im Endeffekt hat man also mehr Fett und weniger Muskeln als vor der Diät. Das verlangsamt den Stoffwechsel und führt dazu, dass man kaum noch abnimmt, selbst wenn man sehr wenig isst.

Das Kochen und Zusammenstellen von ausgeglichenen Mahlzeiten, die satt, aber nicht dick machen, wird in Mondorf geübt. Genauso wie das Einkaufen und im Restaurant essenzu gehen. Die Ernährungsberaterinnen zeigen, auf welche Fett- und Zuckerfallen man achten muss. Die meisten übergewichtigen Menschen essen zu große Portionen, sagt Nathalie Weber. Zu viel Fett, zu viele Kohlenhydrate. Oder sie essen zwischen den Mahlzeiten. Bei jüngeren Patienten spielten häufig zuckerhaltige Getränke eine Rolle. Limonaden, Säfte und natürlich Alkohol.

Bessere Blutwerte

Bei den stationären Patienten, die vorher regelmäßig Alkohol getrunken haben, verändere sich das Blutbild im Laufe von drei Wochen auffällig, erzählt Weber. Vor allem die Triclyceride, die zu den Nahrungsfetten gehören und im Fettgewebe gespeichert werden, werden durch Alkoholabstinenz weniger. Erhöhte Werte können Gefäß- und Herz-, Kreislauferkrankungen sowie Probleme mit der Bauchspeicheldrüse verursachen. Ähnliche Auswirkungen hat Übergewicht, vor allem, wenn es am Bauch sitzt. Deshalb lernen die Patienten während der Kur, ihr eigenes Risiko besser einzuschätzen. Viele wissen gar nicht, dass Übergewicht Herz-, Kreislauferkrankungen, Diabetes oder Krebs begünstigt.

Jeder Patient kann selbst entscheiden, ob er lieber stationär oder ambulant dabei sein möchte. Entscheidend ist die berufliche, familiäre, aber auch finanzielle Situation. Bei einem stationären Aufenthalt kommt eine Eigenbeteiligung für Mahlzeiten und Unterbringung hinzu, den Rest übernimmt die CNS.

„Wir haben die Erfahrung gemacht, dass gerade Leuten, die sehr eingebunden sind, eine Pause guttut. Die brauchen diese Auszeit und bekommen Gelegenheit, zu reflektieren. Nicht nur ihre Essgewohnheiten, sondern ihre gesamte Lebenssituation."

Im Anschluss empfiehlt die Ernährungsberaterin eine sogenannte „cure de renforcement". Diese geht über eineinhalb Jahre und wird zu 80 Prozent von der Gesundheitskasse übernommen. Die monatlichen Gruppentreffen sollen helfen, das Erlernte zu stabilisieren und dem ewigen Teufelskreis zu entkommen.

 

Artikel veröffentlicht in der REVUE (07.06.2023) - von Heike Bucher